Flat White – Die Kaffeekunst aus Australien
Es ist einer dieser Sommertage wie aus dem Bilderbuch. Die Luft flimmert in der Mittagssonne, die vom nahezu wolkenlosen Himmel strahlt. Das Thermometer misst Temperaturen weit über 25°C. Müßiggang breitet sich über der Kleinstadt aus. Wer nicht arbeiten muss, sucht sich ein schattiges Plätzchen zum Träumen und Genießen. Mich gelüstet nach einem Eiskaffee. Beim Schlendern durch den Ferienort zieht mich intensiver Kaffeeduft wie magisch an. Kaffeerösterei Johann steht über dem Eingang, aus dem der unwiderstehliche Geruch kommt. Ich kann nicht anders und suche mir einen Platz. Ein dicker Baumstamm mit ausladender Blätterkrone bietet einem kleinen Bistrotisch wohligen Schatten. Ich setze mich mit dem Blick in Richtung Café-Eingang und verrate der äußerst zuvorkommenden Bedienung, dass mich der Duft nach frisch gebrühtem Kaffee wie von Zauberhand hierher gelockt hat. Sie lächelt, das hörte sie sicher nicht zum ersten Mal. Als ich einen Eiskaffee bestelle, zögert sie kurz. Sie fragt mich, ob ich den Flat White schon kenne und bereit wäre, ihn anstelle meines Wunsches zu probieren? Sie sieht meinen skeptischen Blick und verspricht mir, mir sofort den Eiskaffee nachzuliefern, sollte mir der Flat White nicht schmecken. Ich wage das Experiment und habe ein paar Minuten später ein kleines Kunstwerk mit Herz vor mir stehen.
Nur ein Cappuccino! Oder etwa doch nicht?
Während ich beim Anblick der Tasse noch davon ausgehe, dass ich lediglich einen mit viel Liebe verzierten Cappuccino vor mir habe, werde ich beim ersten Schluck eines Besseren belehrt. Der feine Milchschaum schmilzt förmlich auf meiner Zunge. Das samtige Gefühl auf meinen Lippen verstärkt sich mit jedem weiteren Schluck.
Außerdem fällt sofort auf, dass der Milchschaum nicht über den Tassenrand hinausragt, sondern exakt mit ihm abschließt. Dieser Eigenschaft verdankt die Kaffeekreation ihren Namen Flat White – „Flacher Weißer“. Die Milch ist tatsächlich flach und nicht auftürmend wie beim Cappuccino. Ganz weiß ist die Oberfläche jedoch nicht. Kaffee und Milch bilden eine perfekte Symbiose.
Geschmacklich unterscheidet sich der Flat White ebenfalls vom Cappuccino. Er schmeckt kräftiger und intensiver nach Espresso und überhaupt nicht süß. Der feincremige und vollmundige Milchschaum unterstützt den Geschmack des starken Kaffees eher, als dass er ihn zudeckt.
Weitgereist und beinahe zufällig entstanden
Der Ursprung des Flat White ist der Einwanderung von Italienern und Engländern nach Australien und Neuseeland nach dem zweiten Weltkrieg zu verdanken. Während die Engländer nur ihren Tee kannten, steuerten die Italiener den Kaffee bei. Tee mit Milch, so liebten es die Engländer. Diese Tradition wollten sie auch dann beibehalten, als sie den Kaffee der Italiener probierten. Er war ihnen schlichtweg zu bitter. Durch das Mischen von Kaffee und Milch war der erste Flat White geboren. In immer mehr Cafés in Down Under wurde diese Kreation serviert und gelangte in den achtziger Jahren schließlich auch nach Europa. Längst wird der Flat White nicht mehr nur in Großstädten angeboten. Während er in einigen Ländern eher als vorübergehender Modetrend gilt, ist sein Siegeszug in kaffeebegeisterten Ländern wie Holland und Deutschland nicht mehr aufzuhalten. Hier hat er sich neben Cappuccino, Latte Macchiato und Espresso einen Namen gemacht und etabliert.
Die Milch macht‘s
Der Milchschaum eines Cappuccino ist von festem Stand, stark luftig und großporig. Beim Flat White ist der Schaum eher eine Creme, somit sämiger und hinterlässt im Mund ein weiches Gefühl. Um den Milchschaum so feinporig hinzubekommen, ist eine Dampfdüse am Kaffeeautomaten notwendig.
Zudem ist die Auswahl der Milch entscheidend. Perfekt geeignet ist Vollmilch von Kühen. Doch auch mit pflanzlichen Alternativen gelingt der cremige Schaum. Die besten Ergebnisse lassen sich mit Haferdrink oder Dinkeldrink erzielen. Diese Pflanzenmilchsorten schäumen sehr gut und unterscheiden sich in der Creme-Konsistenz kaum von Kuhmilch. Lediglich Farbe und Geschmack sind etwas verschieden. Möglich ist auch Mandeldrink, der sich gut aufschlagen lässt und dem Flat White einen eigenen, leicht nussigen Geschmack liefert. Weniger gut funktioniert es mit Soja-Milch, wobei nicht nur das Schaumergebnis, sondern auch der sehr gewöhnungsbedürftige Geschmack eine Rolle spielt. Gänzlich ungeeignet zum Aufschlagen ist Reisdrink. Dieser geht mit der Luft aus der Dampfdüse keine ausreichende Verbindung ein, um die Milch schaumig zu bekommen.
Krieg ich den Flat White auch zuhause hin?
Oft wird behauptet, nur einem Barista mit langjähriger Übung gelänge ein formvollendeter Flat White mit Latte Art. Lassen Sie sich von dieser Überzeugung nicht ins Bockshorn jagen. Wenn Sie über eine Espresso-Siebträgermaschine mit einer Dampfdüse verfügen, ist das schon die halbe Miete. Nun fehlen nur noch die Milch Ihrer Wahl, Ihre Lieblingskaffeesorte und künstlerisches Geschick.
Bereiten Sie einen doppelten Espresso mit einer schönen Crema zu und gießen ihn in eine Cappuccino-Tasse. Ein kleines Edelstahlkännchen zur Hälfte mit Milch füllen. Eine Hand am Henkel, die andere Hand fungiert als Sensor für die Temperatur. Mittels Dampfdüse wird nun Luft unter die Oberfläche der Milch gebracht. Nicht sprudeln, dann werden die Poren zu groß und der Schaum zu fest. Halten Sie das Kännchen schräg. Zu heiß darf die Milch nicht sein, sonst hat sie keinen Stand mehr und lässt sich nicht mit dem Espresso mischen. Vorm Eingießen in die Cappuccino-Tasse das Milchkännchen einige Male flach auf die Tischoberfläche klopfen, damit eventuell vorhandene Bläschen verschwinden und der Schaum gleichmäßig wird.
Weißbraune Kunst bis zum Tassenrand
Jetzt beginnt der kunstvolle Teil, die sogenannte Latte Art, für die Sie eine ruhige Hand, etwas Kreativität und ein bisschen Training brauchen. Vermutlich gelingt Ihnen die Verzierung nicht gleich beim ersten Mal perfekt. Hier gilt das alte Sprichwort „Übung macht den Meister“. Die Tasse mit dem Espresso kurz schwenken, damit sich die Crema perfekt in der Tasse verteilt. Tasse und Kännchen jeweils leicht schräg halten. Die Milch am Tassenrand unter den Espresso gießen. Danach mit flacher werdenden Neigungswinkel der Tasse den Schaum über die Oberfläche ziehen, bis die Milch mit dem Tassenrand abschließt. Et voila, ein rehbraun-weißes Muster ziert Ihren Flat White, den Sie nun in aller Ruhe und mit Stolz genießen können. Übrigens, Kakaopulver gehört nicht auf den Flat White. Das würde sowohl den Geschmack als auch die Verzierung stören.
Trauen Sie sich ruhig etwas zu. Vielleicht entzücken Sie Ihre Gäste ja bald schon nicht nur mit einem Hochgenuss an Kaffee, sondern ebenso mit einem perfekt geformten Herz, Blütenblatt oder sogar mit Figuren wie einem Schwan. Wenn Sie noch Anregung suchen: Wie die Latte Art am besten funktioniert und was man alles zaubern kann, zeigen jede Menge Videos zum Thema. Fragen Sie auch in Kaffeeröstereien mit angeschlossenem Café nach. Diese bieten oft Vorführungen und spezielle Kurse an.
Viel Spaß beim Ausprobieren, gutes Gelingen und köstlichen Kaffeegenuss!